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95 Thesen zu #TheaterimNetz

Die Kulturfritzen sind seit 2015 dem #TheaterimNetz auf der Spur. Was könnten Theater und Netz zusammen vollbringen? Die Frage geben die Kulturfritzen seither an die Theater-Netz-Crowd weiter: virtuelles Theater, Service 2.0, Wünsche oder Ängste, Theater in den sozialen Netzwerken und soziale Netzwerke in den Theatern - alles ist denkbar. Mit einer Blogparade und 95 Thesen zum #TheaterimNetz haben sie erneut zum Utopienformulieren eingeladen.
95 Thesen zu #TheaterimNetz
Ein Beitrag für Berlin Bühnen von Anne Aschenbrenner feat. Marc Lippuner
Die U-Bahn ist voll Menschen, Rushhour. Wir haben einen Sitzplatz ergattert, sind müde, nehmen unser Smartphone aus der Tasche. Tippen auf die rote Flamme, das Icon unserer Theatertinder-App - ein wenig Kultur an Wochenende wäre doch nett, es soll regnen. Wir klicken auf das Zahnrad, Einstellungen: Schieben den Riegler auf "bis 15 km", klicken Tragödien, Performances, Musical und "viel Theaterblut" weg, grenzen den Zeitraum ein: Freitag bis Samstag. Gehen ins Hauptmenü: "Produktionen in deiner Nähe werden gesucht.", die rote Flamme flackert. Schon werden sie angezeigt, die Produktionsfotos, der Titel, das Theaterhaus. Was uns nicht anspricht, wischen wir nach links, Papierkorb. Was uns interessiert, klicken wir an: der Produktionstrailer erscheint, darunter: Inhaltsangabe, Besetzungen, Kritiken von Zeitungen und Blogger_innen, die Sterne unter dem Stück zeigen die Bewertungen der App-User. Wir wischen nach rechts: auf die Wis(c)hlist. Wählen zwei Stücke. Mit einem Klick teilen wir extern unsere Wishlist mit unseren Freunden, wir stimmen ab, kehren zurück in die App, kaufen die Tickets.
Wir müssen Sie enttäuschen. Diese App haben wir uns ausgedacht. Wie 94 andere Dinge auch.
Wir, das sind die Kulturfritzen Anne Aschenbrenner und Marc Lippuner. Seit 2015 sind wir dem #TheaterImNetz auf der Spur, und offenbar besetzen wir hier eine Nische, über Museen und Digitalisierung wird ebenso viel diskutiert wie über Verlage und soziale Netzwerke; nur das Theater fällt hier immer wieder hinten runter: Also fingen wir an zu lamentieren, zu analysieren und das schwierige Verhältnis von Theater und Netz zu hinterfragen. Beharrlich sind wir schließlich bis zum Grund vorgestoßen: Es fehlt, nein, nicht an Ressourcen, es fehlt an Utopien! Voll Kampfeslust haben wir bei der letzten Theater-und-Netz-Konferenz in Berlin das Tagungsthema "Fake, Fakten und Fiktion" gekapert und via selbst gemachter Behauptungsmaschine den Tagungsteilnehmer_innen, – den analogen wie den digitalen! – , 95 Thesen – bietet sich ja an im Lutherjahr – an die projizierte Twitterwall geschlagen: 95 Thesen zu Theater und Netz, die, so übertrieben, sarkastisch oder lächerlich sie auf den ersten Blick auch sein mögen, alle einen Punkt anstoßen, der das Puzzle #TheaterImNetz vervollständigt. Von "Dieses Theater wird sich im Internet nicht durchsetzen" (These 1) bis "Das Theater überlässt das Netz nicht den Populisten, Trollen und Hatern" (These 95).
Wir wollen diskutieren – über virtuelles Theater, über Service 2.0, über Wünsche und Ängste, über Theater in den sozialen Netzwerken und über soziale Netzwerke in den Theatern. Deswegen haben wir eine Blogparade ausgerufen, in der sich unserer 95 Thesen angenommen werden soll: Seriös oder spielerisch, Fakt oder Fiktion, vom Erfahrungsbericht bis zur Kurzgeschichte oder zum Einakter, von der Collage über die Snapchatstory bis hin zur Instagramserie. Wir freuen uns über alles, was Lust auf #theaterimnetz macht oder die Lust daran zeigt.
Ist es zu hoch gegriffen, wenn wir glauben, damit die digitale Theaterrevolution anzustoßen? Wir glauben nicht.
