Wal der Träume
Für ein Musikstück entwarf Bert Neumann einen meterlangen, hölzernen Wal. Ein Bühnenbild, das alle Vorstellungen sprengte und als nicht realisierbar galt. Neumanns kühne Pläne verschwanden. Aber nur fast. Im Jahr 2015 tauchte der riesige Orca auf der Bühne der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz auf. In René Polleschs und Dirk von Lowtzow Oper „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ sorgte er für große Begeisterung. Für Lilith Stangenberg, Martin Wuttke und Franz Beil war der Orca Zufluchtsort, Garderobe und erweiterter Raum für Dialog und Auseinandersetzung. Sie kletterten in seinen Bauch, der Orca schwebte über dem Bühnenboden und Martin Wuttke sprach durch seine riesigen Zähne hindurch. Noch heute wird über den Bühnen-Wal voller Bewunderung gesprochen. Was anderswo als unmöglich galt, wurde hier Realität. Denn die Werkstätten der Volksbühne sind dafür berühmt, keine Grenzen für Bühnenträume zu setzen.
Zukunft der Werkstätten in Gefahr
Zu den aktuellen Einsparungsmöglichkeiten des Berliner Kulturhaushalts gehört auch die Schließung der Volksbühnen-Werkstätten. Die Bühnenbilder der Volksbühne müssten dann, nach Plänen des Senats, beim größten Theaterdienstleister Deutschlands, dem Bühnenservice Berlin, gefertigt werden – jener zentralen Einrichtung in Friedrichshain, die auch für andere große Häuser, wie das Deutsche Theater, das Theater an der Parkaue und die drei Opernhäuser produziert. Weil durch die Kürzungen im Kulturhaushalt schon jetzt zahlreiche Produktionen gestrichen werden mussten, gäbe es Kapazitäten für die Volksbühne. Damit steht die Zukunft der legendären Volksbühnen-Theaterwerkstätten auf der Kippe.
Um zu zeigen, was auf dem Spiel steht, hat die Volksbühne Anfang Juni zu einer Begehung durch die Werkstätten eingeladen: Journalist*innen, Theaterkritiker*innen und Unterstützer*innen besuchen die Gewerke der Werkstätten – viele sind zum ersten Mal vor Ort. Auch die renommierten Volksbühnen-Schauspieler*innen Milan Peschel und Kathrin Angerer sind gekommen, um auf die Dringlichkeit der Situation hinzuweisen. Matthias Lilienthal, zukünftiger Intendant an der Volksbühne ab der Spielzeit 2026/27, ist ebenfalls vor Ort.
Eine Schließung der Werkstätten in der Thulestraße in Pankow wäre fatal, erzählt Werkstattleiter Stefan Möllers beim Gang durch die Räumlichkeiten. Sie bilden einen über Jahrzehnte gewachsenen Organismus. Seit 1939 werden hier Bühnenwelten für die Volksbühne gebaut. 47 Menschen arbeiten in den Werkstätten – darunter Auszubildende, die hier eine über Generationen weitergegebene Handwerkskunst erlernen. Muss dieser Ort schließen, würde Theaterkultur und Theatergeschichte zerstört.
Einblicke in die kreative Werkstattwelt
Stefan Möllers führt die Gruppe durch jene Räume, in denen er selbst 1990 als Praktikant begann. Zunächst geht es ins Konstruktionsbüro, wo jedes Bühnenbild mit einer Idee seinen Anfang nimmt. Nebenan befindet sich die Dekorationsabteilung. Der große Eingang zur Tischlerei liegt im Herzen des Werkstatthofes: ein gigantischer Raum mit hohen Decken, in dem gesägt, gehämmert und geschmirgelt wird.
Weiter geht es durch die Malerei, in der eine Bühnenmalerin gerade mit einem Teleskop-Pinsel und hoher Präzision auf dem Boden Stein für Stein einer Backsteinwand entstehen lässt. Danach folgen die Schlosserei und Schweißerei – jede Station eine eigene Welt. Der letzte und vielleicht eindrucksvollste Raum ist die Plastikabteilung. Sie liegt unterm Dach und ist nur über eine steile Treppe zu erreichen. Von hier oben lässt sich die gesamte Tischlerei betrachten. Die Bühnenplastiker*innen lassen in ihrer Werkstatt täuschend echte Illusionen entstehen: Zu sehen sind ein an einem Kreuz hängender Frosch, der aussieht, als wäre er aus Holz, sowie eine kleine, lebensecht wirkende Kuh. Daneben steht eine überdimensionale Ananas, in die eine Uhr integriert ist. Es gibt auch hier keine Grenzen.
Künstlerische Zusammenarbeit von Bühne und Werkstatt
Bis zur letzten Probe könne sich noch etwas am Bühnenbild verändern, erzählt Möllers. Oft kämen die Regisseur*innen selbst in die Werkstätten, um den Prozess mit den Mitarbeitenden zu begleiten. Diese enge Zusammenarbeit, zwischen Dramaturg*innen, Regisseur*innen und Bühnenbildner*innen sei entscheidend. Für die Menschen aus den Gewerken ginge die Arbeit über das Handwerk hinaus – sie gestalten und denken das Theater und seine Produktionen mit. Bei den Premieren, so Möllers, säßen viele Mitarbeitende der Werkstätten im Publikum.
Das sei ein Unterschied zum Bühnenservice, erzählt die Betriebsdirektorin Celina Nicolay: Dort werden in erster Linie große Aufträge für Bühnenbilder abgewickelt. Eine enge künstlerische Zusammenarbeit zwischen den Bühnenbildner*innen der zentralen Theaterwerkstätten und dem Regie-Team des Theaters ist dabei über den konkreten Auftrag hinaus kaum möglich. An der Volksbühne hingegen ist die enge Verzahnung zwischen Werkstatt und Bühne ein zentraler Bestandteil des künstlerischen Selbstverständnisses – sie gehöre zur „DNA der Volksbühne“, betont Nicolay. Diese Auslagerung würde zudem keine Kosten sparen, sondern erhöhen: Während die hausinterne Produktion mit einem Stundensatz von 46,80 € kalkuliert, liegt der beim Bühnenservice bei 60 €.
Ein gemeinsames Projekt als Rettung
Die Volksbühne reagiert auf die bereits für 2025 geforderten Einsparungen von zwei Millionen Euro, indem sie öffentlich auf die Lage ihrer Werkstätten aufmerksam macht. Den Journalist*innen wird am Ende des Rundgangs durch die Werkstätten ein fundierter, zahlenbasierter Plan vorgelegt: der Bau einer gemeinsamen Probebühne mit dem Gorki Theater auf dem Werkstattgelände. So könnte der Erhalt der Werkstätten gesichert werden.
Denn beide Bühnen proben derzeit zu hohen Mietkosten auf derselben Probebühne in Rummelsburg – ein Vertrag, der für die Volksbühne ohnehin 2029 ausläuft. Mit diesem Plan wären einige langfristige Probleme behoben und eine dauerhafte Mietersparnis sowohl für das Gorki als auch die Volksbühne möglich. Ganz im Sinne des Berliner Senats. Im von Celina Nicolay vorgestellten Plan liegt eine realistische Chance, die Dekorationswerkstätten der Volksbühne zu bewahren, die einen unverzichtbareren Teil des künstlerischen Herzens der Volksbühne bilden.